Ein Arzt mit Leib und Seele
Gespräch mit Dr. Heinz-Roland Kienzer
Kurzer Hintergrund zur Person:
Dr. Heinz-Roland Kienzer ist ausgebildeter Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie. Seit 25 Jahren unterstützt er die Krebshilfe Wien im Bereich der medizinischen Beratung von Krebspatient:innen. Er bezeichnet sich selbst als „Spitalsarzt aus Leib und Seele“.
Seit wann sind Sie für die Krebshilfe Wien tätig? Wie kam es zur Zusammenarbeit?
25 Jahre muss das schon her sein – jetzt bin ich 71 Jahre alt, damals also 45 Jahre und ich war im Krankenhaus tätig. Man hat damals in den Onkologischen Abteilungen gefragt, wer bereit wäre, für die Krebshilfe ehrenamtlich tätig zu sein: ich habe mich gleich dafür gemeldet und bin seitdem regelmäßig für die Krebshilfe Wien im Einsatz.
Die Situation in den Spitälern hat sich über die Jahre österreichweit zunehmend verschlechtert: man kann sich leider immer weniger Zeit für den einzelnen Patienten nehmen. Das ausführliche Arztgespräch ist aber für Patient:innen so wichtig. Eine Krebserkrankung ist kein Schnupfen, den man in 5 Minuten erklären kann. Patienten brauchen unbedingt mehr Zeit für ein Gespräch, in dem sie erzählen und ausholen können – und auch als Arzt braucht man mehr Zeit, um die Erkrankung wirklich eingehend erklären und die weiteren Schritte gemeinsam besprechen zu können. In der Krebshilfe Wien haben wir eine Stunde Zeit, in der Patient:innen ihre Befunde herzeigen und alle Fragen stellen können, die ihnen im Kopf herumschwirren. Ich versuche sie so gut wie möglich über die Erkrankung und die Therapieansätze aufzuklären. Ich kann in dieser Zeit auf jeden – je nachdem wie es die Situation erfordert – ganz individuell eingehen. Ein schönes Gefühl, auch für mich als Arzt.
Krebs ist eine schwere Erkrankung, nach der man aber auch oft wieder gesundwerden kann. Krebs kann sehr unterschiedlich verlaufen: Ich kann in einer Stunde viel mehr darauf eingehen. Genau das ist im Krankenhaus einfach nicht möglich. Ich höre den Patienten zu, das tut ihnen gut. Ich lese die Befunde und versuche sie bedarfsgerecht zu erklären.
Was ist aus Ihrer Sicht so anders im Krankenhaus?
Da ist dieser unentwegte Druck. Der Druck, weil immer mehr Patient:innen zu behandeln sind. Der Druck, weil für den Arzt und die Ärztin so viele Verwaltungsaufgaben zu erledigen sind. Der Patient oder die Patientin muss bei zig Untersuchungen rechtzeitig angemeldet werden, die Rezepte ausgestellt werden, und und und. Das Alles zwischen 8 und 13 Uhr, ja - ein Patient nach dem anderen. Manchmal habe ich den Eindruck, im Krankenhaus 1.000 Male dasselbe Aufklärungsgespräch geführt zu haben – und ich musste mich selbst an der Nase nehmen, dass da doch ein ganz anderer Patient mit dieser schweren Diagnose sitzt und alles zum ersten Mal hört. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber nicht: es ist ganz wichtig, sich als Arzt das jedes Mal in Erinnerung zu rufen, dass gerade jetzt ein schwerkranker Mensch vor dir sitzt und Hilfe braucht.
Krebs ist allgemein von so großen Tabus umgeben. Noch immer spricht man in der Bevölkerung viel zu wenig darüber. Bei Herzerkrankungen ist das ganz anders: Wenn jemand zweimal einen Herzinfarkt durchgemacht hat, ist er nahezu stolz darauf. Stolz, ihn überstanden zu haben. Wenn jemand Krebs hatte, behält er es als lieber als Geheimnis. Viele Patient:innen empfinden noch immer eine Art Schuld, auch wenn sie die Gründe für ihr Schuldgefühl meist gar nicht benennen können. Das tut bei Herzinfarkt-Patient:innen kaum einer, und das obwohl es die häufigste Todesursache ist und ein großer Teil durch einen besseren Lebensstil – Schlagwort Rauchen, Ernährung/Übergewicht, erhöhter Blutdruck – vermeidbar wäre. Umso mehr sind Menschen wichtig, die darüber in der Öffentlichkeit sprechen, so zum Tabubruch beitragen und Mut machen. Wie Angelina Jolie, die mit ihrer persönlichen Geschichte auf das Problem genetischer Brustkrebserkrankungen hinwies. Sie wird wahrscheinlich durch das offene Reden einigen betroffenen Frauen, die sich seitdem auf das Brustkrebsgen testen lassen, das Leben retten können. Oder der siebenfache Tour-de-France Sieger Lance Armstrong, der mit nur 25 Jahren am Start seiner Karriere an Hodenkrebs erkrankte, trotz Metastasen überlebte und damit viele Männer zu Früherkennungsuntersuchungen bewegen konnte. Man muss mehr darüber reden, nicht nur wir Ärzte und Ärztinnen.
Sie haben hier in der Krebshilfe Wien viele Stunden in der Beratung von Krebspatient:innen verbracht – und das im Ehrenamt neben Ihrem anspruchsvollen Beruf als Arzt. Wieso?
Ich habe das Glück, dass mein Beruf auch wirklich meine Berufung ist. Ich würde im Nachhinein nichts Anderes sein wollen als ein Arzt. Natürlich mache ich viele schöne Dinge in meiner Freizeit und verbringe viel Zeit mit meiner Frau, meinen Kindern und drei Enkeln. Die schon 25-jährige ehrenamtliche Tätigkeit – über 20 Jahre neben meinem Hauptberuf als Spitalsarzt – für die Krebshilfe Wien bedeutet mir viel: Hier kann ich unmittelbar etwas für krebskranke Menschen und auch ihre Angehörigen bewirken. Arzt ist für mich einfach der allerbeste Beruf.