Jeder braucht eine starke Stütze am Weg durch die Krebserkrankung
Krebs und die Seele
Ein Gespräch mit Karin Isak
Für Betroffene bedeutet die Diagnose Krebs einen unerwarteten Sturz aus der Realität und aus ihrem gewohnten Alltag: nichts ist mehr so, wie es vorher war. Im Laufe der Erkrankung holen sich viele Menschen psychoonkologische Hilfe bei der Krebshilfe Wien. Karin Isak berät seit 25 Jahren krebskranke Menschen und ihre Angehörigen auf deren Weg durch eine Krebserkrankung. Hier gibt sie uns einen Einblick in das schwer belastete Seelenleben von erkrankten Patient:innen und erzählt, wie Psychoonkologie maßgeblich helfen kann.
Eine Krebsdiagnose ist immer ein großer Schock. Wie kann die Krebshilfe Wien helfen?
Unmittelbar rund um die Diagnose können wir Betroffenen helfen, den großen Schock zu verarbeiten. Krebspatient:innen kommen aber zu verschiedenen Zeitpunkten der Erkrankung zu uns: in der Zeit der Diagnose, der Therapie, der Nachsorge oder am Anfang einer palliativen Situation. Sie kommen meist mit einem großen Paket an Belastungen. Gemeinsam finden wir heraus, ob die Betroffenen medizinische Beratung, psychoonkologische, sozialrechtliche und berufliche Beratung oder etwa spezielle Informationen zum Thema Ernährung und Bewegung brauchen. Jene, die vorrangig psychologische Unterstützung benötigen, werden von unserem Team spezialisierter Psychoonkolog:innen betreut. Studien zeigen eindeutig, dass psychoonkologische Hilfe wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität von Patient:innen beiträgt.
Was genau ist Psychoonkologie?
Psychoonkologie ist eine multidisziplinäre Fachrichtung, die sich mit den psychischen und sozialen Belangen von Krebspatient:innen und deren Angehörigen beschäftigt und darauf abzielt, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Eine spezifische Zusatzausbildung, Selbsterfahrung und persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sind Voraussetzung, um später mit mehr Sicherheit schwerkranke Patient:innen zu begleiten.
Wie kann man sich diese Gespräche vorstellen?
Nach dem ersten Schritt der Vertrauensbildung zwischen Patient:in und Psychoonkolog:in kann der/die Patient:in über all das, was ihn/sie so sehr belastet, offen sprechen – und das, ohne dass bewertet wird. Am allerwichtigsten ist Empathie. Man muss als Psychoonkolog:in in die Schuhe des Anderen schlüpfen können. Empathisch sein heißt fühlen und verstehen, was dein Gegenüber fühlt. Damit verbunden ist die Fähigkeit, eigene Gefühle und Gedanken als getrennt wahrnehmen und regulieren zu können – das fällt Angehörigen und Freunden verständlicherweise oft schwer: Sie fühlen sich als „hilflose Helfer“ und wollen gerne sofort etwas in die Hand nehmen. Oft ist das den Betroffenen zu schnell und zu viel.
Mit welchen Problemen werden Krebspatient:innen im Laufe ihrer Erkrankung konfrontiert?
Die Diagnose Krebs trifft Menschen meist völlig unvorbereitet. Angst, Wut, Resignation, vor allem aber Hilflosigkeit bestimmen Denken und Fühlen. Die meisten berichten von einer plötzlichen Todesangst. Gleichzeitig müssen sie aber rasch viele sehr wichtige Entscheidungen treffen.
Nach dem Behandlungsstart kommen auf die meisten Patient:innen starke Nebenwirkungen der Therapien zu, die sie verstehen und besprechen wollen. Im Spital ist die Zeit dazu oft zu kurz, sodass nicht ausreichend über Sorgen, Ängste und Depressionen gesprochen werden kann. Bei der Hälfte der Krebspatient:innen tritt angesichts realer existenzieller Bedrohungen die sogenannte Progredienz-Angst auf – das ist die Angst vor dem Fortschreiten und/oder dem Zurückkommen der Krankheit. Neben den medizinischen Themen treten zusätzliche Herausforderungen auf, die das unmittelbare Wohlbefinden der Patient:innen beeinträchtigen: die Angst am bzw. um den Arbeitsplatz oder der Umgang mit der Familie, den Freunden und dem sozialen Netzwerk.
Wie geht man in der Psychoonkologie mit all den Ängsten oder sogar einer Depression um?
„Du brauchst keine Angst haben“: das hört man oft von Angehörigen und Freunden. Das ist zwar gut gemeint, aber leider eine hilflose Aussage von jenen, die selbst Angst haben. In der Psychoonkologie versuchen wir, diese Angst anzunehmen und diese Angst sogar genauer anzuschauen.
Psychoonkolog:innen können Gefühlszustände interpretieren. Wir können etwa den Unterschied zwischen einer klassischen Depression und einer sogenannten Fatigue erkennen: Je nach Studie leiden 80-90% aller Krebspatient:innen bei einer Chemo- oder Strahlentherapie unter massiven psychischen wie körperlichen Erschöpfungszuständen. Unsere Arbeit ist es, zu stabilisieren – und dann Schritt für Schritt gezielt den Themenbereich zu besprechen, der gerade am vordringlichsten ist.
Aus der Sicht der Psychoonkologin ist es schön zu sehen, dass es manchmal Kleinigkeiten sind, die enorm weiterhelfen können: An einem winzigen Rädchen zu drehen bewirkt manchmal ganz viel.
Danke für das Gespräch, liebe Karin!
Karin Isak
Karin Isak ist Klinische Psychologin mit dem Schwerpunkt Psychoonkologie, psychologische Leiterin der Beratungsstelle der Österreichischen Krebshilfe Wien, Mitglied des Präsidiums und Vorstandsmitglied der Österreichischen Krebshilfe.
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