Die Diagnose
"Nur durch das Tor der Sinne zieht die Welt in das Gemüt des Menschen ein" - William Thierry Prayer, 1841-1897, englischer Physiologe
Die Diagnose "Krebs" löst, wie kaum eine andere Krankheit, bei den meisten PatientInnen wie bei Angehörigen einen Schock aus.
Schnell wird gedanklich alles abgerufen, was jemals zum Thema Krebs gehört und erfahren wurde. In den meisten Fällen ist das Wissen um diese Krankheit eher diffus und unzusammenhängend, aber fast immer mit Gefühlen der Ohnmacht, der Angst und des Schreckens verbunden.
Das aufklärende Gespräch, das mit dem Arzt geführt wurde, bleibt oft nur schwer oder schemenhaft in Erinnerung. Unfähig, klare Gedanken zu fassen, konkrete Überlegungen anzustellen oder die Tragweite der Situation zu erkennen, dauert dieser Schockzustand meist einige Tage an.Es braucht einige Zeit, die Gedanken sickern zu lassen, die Diagnose auf- und anzunehmen und sich mit der Bedeutung dieser völlig neuen Situation für sich und den/die Erkrankten auseinanderzusetzen.
Stellen Sie sich der Situation, wenn sich der erste Schockzustand gelegt hat.
Das oft mangelhafte Wissen über das, was sich hinter der Diagnose „Krebs“ verbergen kann, ist leider häufig eine Quelle für unheilvolle Verallgemeinerungen. Zumeist werden auch nur jene Fälle aus dem unmittelbaren Familien- oder Bekanntenkreis herangezogen, die mit einem ungünstigen Verlauf im Gedächtnis geblieben sind. Denn es liegt leider in der Natur der Sache, dass positive Verläufe mit Krebs in der Erinnerung verblassen, tragische hingegen im Gedächtnis haften bleiben.So wird Krebs auch heute noch von vielen Menschen als die gefährlichste aller Krankheiten angesehen, ungeachtet der gestiegenen Behandlungs- und Heilungserfolge. Es gibt viele unterschiedliche Arten von Krebs, mit ebenso unterschiedlichen Behandlungsformen und Heilungschancen.
Daher ist ein wesentlicher Punkt in der Auseinandersetzung mit der Krankheit eine umfassende Information über Krebs. Das beginnt mit dem Verstehen der Diagnose (die oftmals ohne medizinische Grundkenntnisse gar nicht verstanden werden kann - oder ist eine TNM-Nomenklatur ein geläufiger Begriff?), geht über das Wissen unterschiedlicher Therapiemöglichkeiten bis hin zur Aufklärung über körperliche und psychische Begleiterscheinungen.
Information über den aktuellen Stand der Medizin, Behandlungsmöglichkeiten, Krankheitsverlauf und Heilungschancen bringen Aufklärung und reduzieren Unsicherheit.
Fachtermini werden von Laien naturgemäß nicht verstanden, und leider scheinen das nach wie vor viele Ärzte zu vergessen. Sie setzen das Wissen um medizinische Begriffe ihres täglichen Sprachgebrauchs auch bei ihrem vis-a-vis voraus und nehmen oft keine Rücksicht darauf, dass die meisten Menschen diese nicht verstehen. Begleiten Sie Ihren Angehörigen zum Arzt - allerdings nur dann, wenn dieser und wenn Sie selbst das auch möchten. Suchen Sie aber jedenfalls das offene Gespräch mit Ihrem betroffenen Angehörigen.
Schaffen Sie Klarheit, ob und auf welche Art Sie hilfreich sein können und was der (die) PatientIn erwartet oder braucht.
In den meisten Fällen ist es kontraproduktiv, wenn Sie aus Angst und Sorge, den anderen zusätzlich zu belasten oder zu verletzen, schweigen. Denn so bleibt jeder sehr einsam mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen und die Spannung kann unterträglich werden.Respektieren Sie aber auch allfällige Grenzen des/r Erkrankten (oft verleitet der gute Wille zu einem Übermaß an Fürsorglichkeit, der vom Patienten mitunter als unangenehm empfunden wird!). Und lernen Sie auch Ihre eigenen Grenzen zu erkennen und als solche zu akzeptieren.
Bei Paaren ist zu beachten, dass sich die Erkrankung wie ein "Dritter" von außen in die bestehende Beziehung einmischt. Die Auseinandersetzung mit der Krankheit sollte daher zur gemeinsamen Aufgabe des Paares werden, um die Stabilität der Beziehung nicht nachhaltig durch den "Eindringling" zu gefährden.
Es braucht ein starkes emotionales Bündnis zwischen Paaren, um die Präsenz des "Dritten" gemeinsam zu ertragen.