Wenn der Krebs wiederkehrt
Mein Krebs und ich
Das Wort Metastasen
Zugleich sucht sie um einen Reha-Aufenthalt in Salzburg an: Das könnte ihr nach dieser anstrengenden Zeit sehr helfen. Sie fühlt sich allerdings zunehmend schwächer, hat grippeähnliche Symptome. Gleichzeitig ertastet sie harte Lymphknoten und reagiert sehr schnell, indem sie sofort ihren Chirurgen anruft.
„Das Wort Metastasen kann ich nicht hören. Ich sehe noch immer meinen Sohn vor mir, als wir nach den erneuten Untersuchungen meine Diagnose erhielten: zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ihn so richtig fassungslos gesehen. Es tat mir im Herzen so weh, meinen sonst so starken Sohn so gebrochen zu sehen. Bei der ersten Diagnose verhielt er sich noch ganz anders.“ Nachdem sich das Rezidiv mit Metastasenbildung bestätigte, brach eine Welt über die Familie herein, viel schlimmer als je zuvor. Alle hatten gehofft, der Krebs wäre besiegt.
Wieder geht alles Schlag auf Schlag. Allerdings entscheidet sich Jasmine auf Zureden ihres Sohnes und der Schwiegertochter das Krankenhaus zu wechseln. „Der richtige Arzt ist das Wichtigste. Nur mit viel Vertrauen kann man da durch.“ Zum ersten Mal hat Jasmine bei den neuen Ärzten das Gefühl, dass man ihr zuhört und sie ernst nimmt. Sie spürt mehr Sicherheit, denn es wird viel mehr erklärt. Die Schwiegertochter hilft Jasmine schnellere Termine für die notwendigen Voruntersuchungen zu erhalten. Ihre Schwiegertochter ist bei ihr, als sie beide gemeinsam die per E-Mail geschickten Ergebnisse öffnen. Endlich eine Nachricht, die keine böse ist: es wurden keine weiteren Metastasen im Körper entdeckt.
Es geht vom Neuen los, aber doch ganz anders
Jasmine beginnt erneut eine Chemotherapie. Diese verträgt sie diesmal allerdings viel schlechter als zwei Jahre zuvor. Sie klagt über mehr Nebenwirkungen. „Ich hatte das Gefühl, die Lunge springt mir raus.“ Trotz Müdigkeit, Schmerzen und Erschöpfung rafft sie sich auf und bemüht sich, für sich und die Familie Gutes zu kochen. Ihrer Tochter erzählt sie noch nicht von ihrem Rezidiv. Stattdessen schickt sie sie über den Sommer zur Familie nach Jordanien und hofft, dass sie dort solange wie möglich von den Veränderungen verschont bleibt. „Worte wie Hoffnung, Verzweiflung, Dankbarkeit verändern ihre Bedeutung, wenn man eine Krankheit wie Krebs durchmacht.“: Jasmine muss sich eingestehen, dass sie in eine Depression gestürzt ist. Trotzdem arbeitet sie weiter, empfindet die Arbeit aber als zunehmend körperlich und emotional belastend.
Entschlossen, mit dem Krebs zu leben
Die Ärzte willigen ein, dass ihre Patientin ihre Rehabilitation in Salzburg beginnt und für die zeitlich dazwischenliegende Untersuchung nach Wien fährt. Die Reha und die Bekanntschaft mit anderen krebserkrankten Menschen tun Jasmine gut. Sie hilft ihr, den wiedergekehrten Krebs in ihrem Körper anzunehmen, aber alles zu tun, um ihn im Zaum zu halten. „Ich habe schon vor meiner Krebserkrankung viel durchgemacht, der Krebs hat mich aber als Mensch nochmals geändert. Ich sehe das Leben ganz anders. Anderen gegenüber bin ich noch toleranter, offener und mitfühlender geworden. Vorurteile gegenüber anderen gibt es für mich gar nicht mehr.“
Trotz Krebs Hoffnung für die Zukunft
Mittlerweile hat Jasmine alle Chemotherapien-Zyklen geschafft. Nun steht sie vor der Bestrahlung und es werden in weiterer Folge wahrscheinlich noch einige medizinische Schritte folgen. Trotz Extrembelastungen hat sich dennoch etwas geändert: Jasmine Adeh hat mehr Zuversicht in ihre Ärzte, in das Gesundheitswesen und vor allem in sich. Ihre Kinder sind nach wie vor ihr Ein und Alles, sie schenken ihr die notwendige Kraft. Und sie erfreut sich so sehr über Kleinigkeiten. Jasmine hat ihre Leidenschaft des Backens wieder mehr entdeckt: sie bäckt und bäckt, für die ganze Familie. Sie sucht nach noch mehr sinnvollen und ihre Freude machenden Beschäftigungen. Am liebsten würde sie anderen Menschen helfen und etwas von ihren Lebenserfahrungen weitergeben.
Jasmine ist einen ganz großen Schritt weiter: Sie kann zwar nicht sagen, dass sie den Krebs besiegt hat. In unserem Gespräch spricht sie es aber so aus: „Der Krebs ist nun ein Teil von meinem Leben. Ich habe gelernt, ihn anzunehmen und bin dabei zu lernen, mit ihm zu leben.“ Jasmine weiß, dass die neue Chemotherapie helfen wird, Metastasen zu verringern und zu verkleinern. Auch wenn die Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustands dann nicht eine vollständige Heilung bedeutet, weiß sie eines ganz genau: Dass sie bisher sehr viel geschafft hat und auch weiterhin schaffen will.
Gespräch mit Eva Estermann, im Herbst 2021