Endlich wieder richtig durchatmen - Teil 1
Mein Krebs und ich
Rudolf Ulmer, Leberkrebs
Lieber Rudolf, du bist nach deiner Krebserkrankung lebertransplantiert worden. Ist der Krebs seit der Transplantation für Dich in den Hintergrund getreten?
„Ja, die Sorgen um den Krebs haben sehr nachgelassen. Nach 6 Monaten habe ich das erste Mal das Gefühl, ich habe ihn überlebt. Er ist ja nicht mehr da, das befallene Organ ist weg. Nach fast 4 Jahren das erste Mal Gefühl, durchatmen zu können. Ich kann mir sagen: Ich habe den Wahnsinn geschafft. In der Zeit des Wartens auf ein Spenderorgan sind zwei meiner engen Freunde an Krebs gestorben. Ich wusste nicht, wie meine eigene Reise zu Ende geht. Bin ich der Dritte im Bunde?“
Wie hat Dir die Krebshilfe Wien geholfen?
„In diesen Momenten wusste ich nicht mehr weiter. Die Unterstützung der Krebshilfe Wien war unglaublich wichtig – für Menschen wie mich ein unschätzbares Geschenk! Es zog mir komplett den Boden unter den Füßen weg. Ohne euch hätte ich keinen Ausweg gesehen. Als Segler hatte ich das Gefühl, teilweise planlos dahin zu segeln – voller Ängste und Emotionen. Meine Gespräche mit der Psychoonkologin der Krebshilfe Wien waren wie ein Anker für mich, an den man sich festhalten kann und wo ich Erdung fand. Man kann nicht alles mit Freunden, Beziehungspartner besprechen – das ist eine Überforderung, die halten eh schon Unglaubliches aus. Vor allem natürlich meine Lebenspartnerin und mein Sohn. Meine Lebenspartnerin war eine extrem wichtige Säule und Unterstützung. Auch mein Sohn: er war immer für mich da, oft hat er mich einfach nur umarmt. Er hat das sensationell geschafft. Ich hab‘ so Glück gehabt mit ihnen.
Manchmal braucht man allerdings auch selbst Rückzug von anderen, weil man sonst durchdreht: Es ist eine ständige Überforderung. Keine normale Stunde vergeht, kein Ausruhen, immer wieder und immer wieder ein Auf und Ab. In dieser Zeit war ich so froh, dass es euch – die Krebshilfe Wien – gibt. Ich weiß nicht, wie ich das ohne euch alles geschafft hätte.“
Wie reagierten deine Freunde?
„Meine Freundschaften haben sich im Zuge der letzten 4 Jahre verändert. Ein paar Freunde konnten schwer mit meiner Situation umgehen und waren schlichtweg überfordert. Andere waren einfach super und ganz stark für mich da. Ich bin ein großer Freund von Klarheit und ich möchte, dass es authentisch ist. So habe ich meinem Freundeskreis gesagt, sie sollen sich nicht verändern und sich verstellen: Ich will kein Mitleid, sie sollen so bleiben wie immer. Ich habe meine Freunde sehr gebraucht und brauchte ihre Stütze.
Das soziale Netz ist ganz was Wichtiges. Man muss es aber auch etwas steuern. In dem man klar sagt, was man braucht und was nicht. Man hilft den Leuten schlussendlich, wenn man ihnen sagt, wie sie helfen können und ihnen sowas wie eine Gebrauchsanleitung gibt.“
Wie hat sich dein Leben durch diese Erfahrungen verändert?
„Ja, ich habe schon immer eine große Lebensfreude und Humor gehabt. Aber ich habe besonders jetzt erleben dürfen, was das Leben für ein großes Geschenk ist. Ich schätze Alles noch mehr als vorher. Wenn man gesagt bekommt ‚man hat nur mehr ein halbes Jahr‘, dann rennen ganz schwere Filme ab. Manche Dinge sind nicht mehr wichtig, dafür macht mir z.B. mein Beruf noch mehr Freude als vorher. Ich arbeite als Streetworker mit Jugendlichen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Ich bin mir heute noch mehr meiner Verantwortung und meiner Möglichkeiten, Dinge für die Jugendlichen zu bewirken, bewusst. Das empfinde ich als ein großes Geschenk. Ich bin überglücklich, wenn ich dem einen oder anderen etwas weitergeben kann. Alles macht nach meiner Erkrankung einen größeren Sinn in meinen Leben. Auch für die kleinen Dinge des Alltags, die vorher ganz selbstverständlich waren, haben sich meine Sinne geschärft. Im Leben ist leider nicht viel selbstverständlich: Man muss was dafür tun, man muss Glück und eine tolle Familie und Freunde und Institutionen wie die Krebshilfe Wien haben.“
Wie bist du damals zur Krebshilfe Wien gekommen?
„Meine Lebenspartnerin hat für mich vorrecherchiert und mir die Hürde genommen. Sie sagte: das hört sich super an, melde dich dort! Die können dir bestimmt helfen. Ich hatte das nicht am Radar, nach den vielen medizinischen Untersuchungen und den OPs. Man kommt so schnell selber in eine Sackgasse. Deswegen ist diese psychoonkologische Arbeit, die ihr macht, so wichtig. Das sehen leider nur jene, die es plötzlich selbst haben und/oder im Familien und Freundeskreis betroffen sind.
Wenn man keinen Ausgang mehr sieht, ist es wichtig, dass es jemanden wie in der psychoonkologischen Beratung gibt, der einen nimmt – und ein bisschen dreht, so dass sich der Horizont wieder verändert. Patienten:innen wie ich werden von psychoonkologischen Berater:innen bei der Krebshilfe Wien bildlich ein Stückchen an der Hand genommen, weil es in einer Sackgasse dunkel ist.“