Eine Reise, die viel verändert hat - Teil 1
Mein Krebs und ich
Annett Noori, Brustkrebs
„Vor rund 6 Jahren hat es mich – und damit auch meine Familie – eiskalt erwischt.“ Unter der Dusche ertastet Annett Noori damals einen Knoten in ihrer Brust. „Ich hatte das große Glück, es rechtzeitig zu erkennen, so dass ich mich mit einer 99%igen Heilungschance in die Therapie gestürzt habe: Chemo, Antikörper, OP, Bestrahlung.“, erzählt Annett Noori. Wir treffen uns in einem Café in der Nähe ihres Wohnorts zum Gespräch. Annett ist 44, als bei ihr Mammakarzinom diagnostiziert wird. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder, die damals 8 und 14 Jahre alt sind.
Eine bewusste Entscheidung, zu kämpfen
„Nach der Diagnose hatte ich die Option: Hau‘ ich gleich den Hut drauf oder möchte ich versuchen, gesundzuwerden? Und ich habe mich ganz klar entschieden, ich möchte leben und ich kämpfe mich da jetzt durch. Ja, das war eine ganz bewusste Entscheidung. Es war eine der schwersten Reisen für mich, meine Familie und Freunde. Man weiß ja nicht, was am Ende herauskommt.“ Annett beschreibt, wie die Zeit unmittelbar nach der Diagnose und während der Therapie extrem belastend war, für sie, aber natürlich auch für die ganze Familie. Um stark zu bleiben, entscheidet sie sich dafür, nicht zu viele negative Gedanken zuzulassen. Stattdessen will sie nach vorne schauen hat und die anstehenden Schritte der Therapie nicht in Frage stellen. Zu diesem Zeitpunktwill sie keine Selbstzweifel zulassen. Ihre Kraft benötigt sie für Anderes: für die körperlich mehr als erschöpfende Therapie – und für ihre Kinder, die ihre Mama unbedingt brauchen. „Ich spürte ganz klar, dass ich kämpfen muss.“ Während der Chemotherapie hat der Gedanke an ihre Kinder und an ihren Mann ihr die notwendige Kraft gegeben. „Zu wissen, dass die
Kinder mich brauchen, hat mir die innere Kraft gegeben, zu kämpfen.“
Vorübergehend auf Tauchstation
Zu unserem Gespräch im Café hat Annett einen Freund hinzu eingeladen: Tommy. Annett und Tommy kennen sich noch gar nicht so lange, aber Tommy scheint viel von dem, was Annett erlebt und empfindet, zu verstehen: Er erzählt, dass seine Mutter vor vielen Jahren an Krebs verstarb. Gemeinsam sprechen wir über die Perspektive von Angehörigen von Krebserkrankten und deren Schwierigkeit, das Richtige aus Sicht der Betroffenen zu tun. „Meine Mutter hat sich am Ende ihres Lebens am meisten um ihre kleine Katze gesorgt. Ich habe das oft nicht verstanden. Wir überlegen zusammen, wieso: „Vielleicht weil man bei einem Haustier in solch einer Situation keine belastenden Ängste und Sorgen spürt – Sorgen, die den oder die Erkrankte noch mehr belasten.“
Wir sprechen über Freunde und deren Bedeutung während der schwierigsten Zeit: Was erwartet man sich von guten Freunden? Annett erzählt, dass sie sich bewusst in dieser ersten Phase der Erkrankung zurückziehen musste. Gegenüber Freunden und Bekannten, die sie oft sah, legte sie zwar offen, dass sie krank war – aber sie suchte nicht aktiv deren Nähe. Bei nicht fundierten Ratschlägen reagierte sie eher sensibel: „Gut gemeinte Ernährungstipps von wegen Himbeeren und sowas brauchte ich weniger. Solche Ratschläge machten mir Druck. Deswegen musste ich vorübergehend auf Tauchstation. “ Aber auch die zu oft wiederkehrende Frage „Wie geht’s dir?“ war belastend, weil sie nicht wusste, was man in ihrer Situation darauf antworten soll. Sie weiß noch, dass ihr Mann oft nachfragte, wie es ihr geht. Annett ging es damals körperlich wie seelisch so schlecht, so dass mit der Frage nicht umgehen konnte.
Einfach umarmt werden
Richtig gut taten ihr Menschen, die einfach da waren und unterstützende Handgriffe übernahmen und ja nicht zu viel fragten und kommentierten. Menschen, die ihr das Gefühl gaben: Du bist okay, wie Du jetzt bist und wie Du Dinge gerade angehst. Annett fühlte sich damals müde, ausgelaugt und antriebslos. Sie litt unter Fatigue, d.h. krebsbedingten Erschöpfungszuständen. Sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut raus, so sehr sie sich es wünschte. Es war einfach alles zu viel: der Krebs, die Nebenwirkungen und die Ängste, die sie versuchte, zu verdrängen und zu bewältigen. So dankbar war sie ihrem Mann, wenn es ihm gelang, sie aus alldem herauszureißen und mit ihr außerhalb der vier Wände etwas zu unternehmen. Und oft, erinnert sie sich, wollte sie einfach nur umarmt werden: „Sich verstanden fühlen in dem Gefühl, das niemand nachfühlen kann, wenn er oder sie nicht selbst Krebs hat.“