Ich spreche mit meinem Bauch
Mein Krebs und ich
Renate Bartel, Brustkrebs
Renate Bartl schaut auf ein langes, erfülltes Leben zurück. Mit 82 Jahren fühlt sie sich trotz langjähriger Krebserkrankung voller Tatendrang. 15 Jahre ist es her, dass sie die Diagnose Mammakarzinom erhielt. Seitdem begleitet sie der Brustkrebs – und sie ist in intensiver medizinischer Nachsorge bzw. Therapie. Wir wollen von Frau Bartl erfahren, wie sie es dennoch bis heute trotz aller Widrigkeiten schafft, so lebenslustig und zufrieden zu sein. Während unseres Gesprächs piepst immer wieder ihr Handy: Frau Bartl hat offensichtlich ganz viele Freunde und Bekannte inner- und außerhalb des Seniorenheims.
Ein neues Leben im Seniorenheim
Mit dem Schritt ins Seniorenheim fing für Renate Bartel ein neuer Lebensabschnitt an: seit einigen Monaten ist die 82-Jährige nun hier und sie sieht Vieles, wovor sie zuerst Angst hatte, plötzlich sehr positiv. Sie freut sich über ihr schönes Zimmer mit dem kleinen, reich an Pflanzen geschmückten Balkon und über den Blick auf den großen Garten.
Mutter Theresa von Hietzing
Frau Bartel erzählt über ihre große Familie und ihrem Leben als Kleinunternehmerin in Wien Hietzing: „Vier Söhne innerhalb von sechs Jahren, alles ältere Herren mittlerweile – ja, eine Bubenmama! In meinem Geschäft hatte ich natürlich immer einen besonderen Draht zu den Buben.“ Frau Bartel führte Jahre lang in Wien Hietzing gegenüber einer großen Schule ein Papiergeschäft. Gleichzeitig belieferte und organisierte sie das Schulbuffet für die über 500 Schüler. Bis heute pflegt sie ein reges Verhältnis zu den vielen Schülern und so manch Eltern, die damals regelmäßig ihr Geschäft besuchten.
„Ich war die Mutter-Theresa vom Grätzel – mein Geschäft eine zentrale soziale Anlaufstelle.“ Die Schüler kamen mit ihren Aufgaben, aber auch Sorgen. Und wenn sie sich den Zirkel oder das Heft nicht leisten konnten, dann bekamen sie es in Frau Bartels Geschäft kostenlos. „Bei mir ist keiner hungrig rausgegangen, egal wer er oder sie war. Wie viele Aufgaben und Aufsätze habe ich geschrieben bzw. Handarbeiten für die Buben gemacht! Wir waren eine Familie – Eltern, Kindern, Lehrer und Direktor. All das, was ich zu geben vermochte, das kommt alles heute wieder als Liebe und Freundschaft zurück: viele rufen mich regelmäßig an, besuchen mich, haben mir beim Übersiedeln geholfen.“
Die Diagnose Krebs
Als Frau Bartel schwer an Krebs erkrankt, erleidet ihr Mann zeitgleich einen Schlaganfall. Sie besucht ihn regelmäßig im Krankenhaus – und das gleich nach ihrer eigenen Chemo- und dann Strahlentherapie. Vor sechs Jahren verstarb Frau Bartels Mann – ein großer Riss in Frau Bartels Leben. Erst vor vier Jahren zieht sich die rüstige Frau nach einem Sturz eine Gehirnblutung zu – und nach einem Herzinfarkt wird ihr ein Herzschrittmacher gesetzt. Jedes Mal bäumt sich die heute über 80-Jährige auf.
Einschneidend erlebt Frau Bartel den Moment ihrer ersten Krebsdiagnose vor fast fünfzehn Jahren, als sie beim Duschen einen Knoten ertastet. „Ich war vier Monate vorher bei einer Mammographie, unverständlich. Plötzlich musste alles schnell gehen. Ich habe mich damals nach dem Arztgespräch auf der Straße auf eine Bank gesetzt und habe überlegt ‚Was machen?‘. Nachdem ich das Gefühl bekam, dass die Ärzte sich gut um mich kümmern, habe ich aber schnell beschlossen: es ist so, ich habe diese Krankheit. Jetzt muss ich kämpfen!“ Es folgt eine brusterhaltende OP, zweiunddreißig Strahlentherapie-Sitzungen und acht Zyklen Chemotherapie-Sitzungen. Fünf Jahre später kommt der Krebs wieder und wir wieder therapiert.
Seitdem ist sie in Langzeittherapie und muss fast wöchentlich zu einer Kontrolluntersuchung. Erst vor einem halben Jahr eine Biopsie, aber Gott sei Dank: alles gut! Auch wenn es noch so schwierig ist, die Wienerin will nie aufgeben – das ist auch ihre Einstellung während der Krankheit ihres Mannes, während der gleichzeitigen, ihre Existenz gefährdenden Auflösung ihres geliebten Geschäfts und vor allem während ihrer Krebserkrankung. „Natürlich war es die Hölle. Keine Haare am Kopf, schlecht war mir – und trotzdem habe ich meinen Mann unbedingt besuchen wollen. Ich wollte das schaffen. Ich bin sowieso nicht zum Denken gekommen.“